Geschmackssachen

Ernährung im Konsumzeitalter

Die Ausstellung servierte auf mehr als 600 m² ein 'Menü in drei Gängen'.

Der Hauptgang erzählte von Ernährung und Essengewohnheiten seit der Nachkriegszeit in Ost und West. Spannend angerichtet war die Geschichte der Erzeugung und Weiterverarbeitung von Getreide, Milch und Fleisch. Die Besucherinnen und Besucher erhielten Kostproben von Karrieren berühmter Produkte und wurden sensibilisiert für die Lebensmittelproduktion in Sachsen. Sie erfuhren, wie aus Tante Emmas Laden Marken und mächtige Ketten wurden, wie sich aus den kleinen Lebensmittelläden HO, Konsum und Kaufhalle entwickelten.
Der Mangelwirtschaft der Nachkriegsjahre folgte im Westen das Wirtschaftswunder und mit ihm die Fresswelle - mit ungeahnten Folgen auch für die Figur. Die Models dagegen wurden immer schlanker - auch im Osten. Heute beklagen Mediziner, Eltern und Politiker den großen Anteil zu dicker Kinder in ganz Deutschland. Im regionalen Vergleich fällt der hohe Verzehr von Schweinefleisch, Wurstwaren, Bier und Spirituosen in Ostdeutschland auf. Das Menü ist also nicht nur mit Schönheiten aus der Medienwelt gewürzt. Auf den Tisch gehören auch die delikaten Skandale der jüngsten Zeit. Mit Hinweisen auf globale Einflüsse blickt die Ausstellung weit über den Tellerrand.

Vorspeise:
Eine Galerie geöffneter Kühlschränke verrät Gewöhnliches wie Pikantes über ihre Besitzer. Es ist zugleich auch eine Reise durch die Nachkriegsgeschichte Deutschlands, durch West wie Ost.

Hauptgang:
Eine Höhle führt auf die Spur frühgeschichtlicher Voraussetzungen von Nahrungserwerb und Nahrungsaufnahme, um im heller werdenden Licht bei aufgeklärten Tischgenossen zu landen.
Die Szene öffnet sich auf eine große, wie eine Piazza geformte Tafel. An ihr hat sich schon eine recht gemischte Gesellschaft eingefunden. Sie kündigt an, was jeweils hinterrücks, sozusagen in rückwärtig gelegenen 'Anrichtezimmern', zur weiteren Verköstigung aufbereitet ist.
Schönheit und Körperideale wandeln sich. Der Zweite Weltkrieg brachte eine Mangelwirtschaft mit sich, die sich für die Masse der Bevölkerung zum nackten Existenzkampf auswuchs. Kein Wunder, dass im anschließenden Wirtschaftswunder im Westen die Formen runder, die Frauen üppiger sein durften. Marylin Monroe und Gina Lollobrigida waren die Stars in Ost und West. Im sozialistischen Deutschland versuchten vor allem kräftige Models, den Typ der sozialistischen Arbeiterin und Bäuerin zu verkörpern. Nicht lange, denn schon bald gewann das Bild der schlanken, sportlichen bzw. der jungen, eleganten Frau die Oberhand. Mancher Frau gelingt es, mit Diätkuren, Abführmitteln und Fitnessstudio dem Ideal zu entsprechen.
Beim Thema Konsumieren treffen wir auf Hausmannskost, auf Tiefkühlprodukte und Fast Food. Sie zeigen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Ost und West, in Chemnitz und Oberhausen. Während im Westen die Reiselust den Blick über den Tellerrand erweitert und Pizza, Spaghetti, Sangria und Cevapcici die Küche ergänzen, erscheinen in den Frauenzeitschriften des deutschen Nachbarn Rezepte aus der UdSSR, der CSSR, Polen und Ungarn: Soljanka, Pörkölt oder Jachnija - Kochen und Essen wie die neuen Freunde. Heute erleichtern Fertigprodukte das Zubereiten der Mahlzeiten. Viele kleine Inszenierungen geben Einblicke in die heutigen Essgewohnheiten und zeigen auch einheimische Produkte. Ob McDonalds oder Imbissbude, ob Pommes oder Roster, auch in den Großküchen kommt immer mehr Vorgefertigtes zum Einsatz. Doch zunehmend werden gesunde und bewusste Ernährung zum Thema in einer breiten Öffentlichkeit. Und gegenwärtig sind es trendige Kochshows auf allen Fernsehkanälen, die unterhaltsam wichtige Grundlagen des Kochens und der Lebensmittelkunde vermitteln.
Labyrinthisch gibt sich der Supermarkt, der mit einem überbordenden Warenangebot die Übersichtlichkeit der Einzelhandelsgeschäfte bzw. der Kaufhallen von HO und Konsum ablöst. Schauspieler werben für die Produkte und um Vertrauen. Der Ruf nach Herkunfts- und Qualitätskontrollen ist laut geworden, man orientiert sich wieder mehr an einheimischen und damit auch an sächsischen Produkten.
Ein weiterer Gang folgt den stürmischen Entwicklungen von Agrarwirtschaft und industrieller Lebensmittelproduktion. Vor dem Hintergrund einer heilen Almhütten-Welt offenbaren Landmaschinen, Düngemittel, Schlachtband und Quarantäne-Schleuse die auch skandalanfälligen Aspekte der industriellen Produktion bzw. Manipulation von Lebensmitteln. Veränderungen in der Produktion werden vorgenommen. Dem dient u. a. die Förderung des ökologischen Landbaus (Ende 2003 wirtschafteten 3,4 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Sachsen nach diesen Richtlinien). Neue Gesetze und Verordnungen der Europäischen Union sollen ebenso den Verbraucherschutz erhöhen wie verschärfte Kontrollen. Gleichzeitig sinken die Erzeugerpreise für Getreide, Milch und Schweine.
Alsbald wird der Blick auf die heimischen Sorgen und Nöte kräftig relativiert. Ein grobes Netzwerk symbolisiert die eine Welt, aus der wir nicht entkommen können und die doch sehr unterschiedlich verteilte Lebenschancen bereithält. Erst in der globalen Perspektive werden die wahren Kosten von Sättigung und Übersättigung sinnfällig.

Nachtisch:
Die Schlaraffenländer, die sehr individuell sein können, wollen wir nicht vergessen. Hier werden Kindheitsträume und Glücksversprechen serviert. Man lässt sie am Besten ganz genüsslich auf der Zunge zergehen - unter einem Baum der Erinnerung, der auch einer der Erkenntnis sein kann. Die Zukunft hat mit den Anwendungen biogenetischer Techniken längst begonnen. Diese Früchte menschlicher Vernunftleistung dürften wohl die Phantasien um den 'Replikator', die Essensausgabe von Raumschiff Enterprise, einholen. Reine Geschmackssache?
Im so genannten Agenda-Forum werden die Besucherinnen und Besucher empfangen und beenden auch wieder den Ausstellungsbesuch. Hier geben ausgewählte Institutionen und Organisationen (vom Agrar-Marketing Sachsen e. V. über Greenpeace bis Brot für die Welt) Hinweise, Beispiele und Empfehlungen zu den Themen Essen, Gesundheit und Weltpolitik. Initiativen in aller Welt haben die Ernährung im Konsumzeitalter zu ihrer Sache gemacht. Es geht ihnen um den Handel zu fairen Preisen, um nachhaltige Anbau- und Produktionsmethoden oder um regionale Rezepte und das Wissen über schmackhafte alte Obst- und Gemüsesorten.

Eine Ausstellung des Rheinischen Industriemuseums in Kooperation mit dem Sächsischen Industriemuseum Chemnitz